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Besuch der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen


Dienstag, 09.30 Uhr

Besuch der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen

von Katharina Lender


Zum Abschluss unseres Berlinbesuchs fuhren wir am Dienstagmorgen nach Hohenschönhausen zur Gedenkstätte auf dem Gelände der früheren zentralen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) – heute bekannt als Stasi-Gefängnis oder Gedenkstätte Hohenschönhausen. Es ist Teil eines mehrere Straßenblocks großen Komplexes des MfS. Dieser umfasste neben der Untersuchungshaftanstalt auch die zentrale Diensteinheit für strafrechtliche Ermittlungen und Gefängnisse des MfS, wie uns ein einführender Film erklärte. Auf einer Karte verzeichnet war der riesige Komplex nicht. Den Anwohnern des Komplexes  war lediglich bekannt, dass es ein Sperrgebiet war.

Nachdem der Film endete, trafen wir unseren Führer, Herrn Lutz Hildebrandt. Wie die meisten der Führer ist er ein ehemaliger Häftling, der ehrenamtlich Besucher durch die Gedenkstätte führt. Er erzählte uns, dass sich die Geschichte der Haftanstalt in zwei große Blöcke teilt: Zunächst war sie nach der Eroberung Ost-Deutschlands durch die Sowjetunion ein sowjetisches Speziallager insbesondere für (vermutete) Anhänger des Nationalsozialismus. In dem damals genutzten Gebäude begann auch unsere Führung. Ziel des Lagers war es, in möglichst kurzer Zeit ein Geständnis zu erlangen, um den Inhaftierten möglichst schnell schuldig sprechen zu können. Dafür wurden verschiedene Foltermethoden eingesetzt wie bspw. das Verweilen in Hitze- oder Kältekammern oder das wochenlange Einsperren in einer Zelle, deren Boden mit Wasser bedeckt war, ohne dass auch nur ein Eimer als Toilette bereitgestellt wurde. Was die Inhaftierten nicht wussten: Unterschrieben sie das Geständnis, um die Folter zu beenden, bestand ihre Strafe zumeist in Strafarbeit in Sibirien, die nur etwa die Hälfte von ihnen überlebte. In der Gedenkstätte hatten wir die Möglichkeit, sowohl Einzelzellen anzuschauen, die gerade groß genug waren, dass der Häftling sowie der als Toilette genutzte Eimer noch neben der Liege Platz hatten, als auch größere Zellen, in denen aber insbesondere zum Ende hin so viele Häftlinge untergebracht wurden, dass sie darin lediglich nebeneinander stehen konnten. Die Liegen durften trotz der geringen Größe nur in der Nacht genutzt werden. Obwohl das Ziel des Lagers in einer möglichst schnellen Weitergabe der Inhaftierten bestand, verbrachten einige von ihnen mehrere Monate in seinen stickigen und dunklen Räumen – insbesondere diejenigen, die auf „Schauprozesse“ vorbereitet werden sollten.

Nach Stalins Tod und den folgenden Veränderungen in der DDR, veränderte sich auch das Gefängnis. Es wurde an die Staatssicherheit übergeben. An die Stelle der physischen trat die psychische Folter. 1961 wurde die Untersuchungsanstalt um ein weiteres Gebäude ergänzt. Neben 103 Zellen, die, zumindest im Vergleich zu den Zellen der stalinistischen Zeit, mit einer Toilette und einem Waschbecken sowie einem Tisch und einem Stuhl fast luxuriös wirken, enthält der Neubau 120 Verhörräume. Ab 1967 war Lutz Hildebrandt hier interniert. Sein Vergehen: Das Abreißen eines Plakates mit Parteipropaganda, dass anlässlich des VII. Parteitages der SED  an eine Tür gehangen worden war.

Oberstes Gebot der Untersuchungsanstalt war Verschwiegenheit und Isolation der Häftlinge: Nach der Verhaftung durch die  Staatssicherheit, wurde man zunächst in einem Wagen lange durch Berlin gefahren bis man nicht mehr wusste, wo man sich befand. Nach der Fahrt, wurde man in der Untersuchungsanstalt in einem extra stark ausgeleuchteten Raum in Empfang genommen, dessen Helligkeit den Ankömmlingen nach der Dunkelheit der Zellen in dem Wagen die Orientierung erschwerte. Anschließend musste der Verhaftete sich ausziehen und erhielt einen blauen Trainingsanzug als Häftlingskleidung. Die Wachleute wussten nur die Nummer der einsitzenden Häftlinge, nicht ihre Namen. Mit ihnen sprechen konnte man nicht. Die Fenster der Zellen waren nicht durchsichtig, damit man keinen Hinweis darauf erhielt, wo man sich befand. Durch ein ausgeklügeltes Ampelsystem in den Gängen wurde sichergestellt, dass sich die Häftlinge nicht sahen und somit nicht wussten, wer sonst noch einsaß. Sofern es nicht in seltenen Fällen vorkam, dass zwei Häftlinge in einer Zelle untergebracht waren, war die einzige Bezugsperson  der ihnen zugeteilte Vernehmer der Staatssicherheit. Dieser hatte durch den Geheimdienst der DDR vielfältige Informationen über Privat- und Berufsleben. Zusammengetragen worden waren diese durch die zum Ende der DDR 91.000 hauptamtlichen und etwa doppelt so vielen informellen Mitarbeiter des Geheimdienstes. Er hatte damit mehr Personal als jeder andere Geheimdienst weltweite (zum Vergleich: Die Gestapo hatte ca. 7.000 Mitarbeiter). Im Fall von Lutz Hildebrandt fand man so Aufzeichnungen seiner Lehrer, die bei einem Klassentreffen aufgeschrieben hatten, dass er sich beschwert hatte, dass die Reaktionen der Politiker der BRD auf einen an sie gerichteten Vorschlag Honneckers, in den DDR-Medien nicht verbreitet wurden. Mit dieser Anmerkung hatte er Informationen westlicher Medien weitergegeben. Er wurde wegen „staatgefährdender Hetze“ und „Staatsverleumdung“ zu zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, aber nach einer Verlegung bereits zwei Monate früher aus der Haft entlassen.

Herr Hildebrandt führte uns berlinerisch direkt, aber nie bitter durch die Gedenkstätte: Er beschönigte nichts, ließ keine unangenehmen Details weg, erklärte sachlich was an diesem Ort passiert war. Seinen Vernehmer habe er nach seiner Freilassung noch zwei Mal im Supermarkt getroffen erzählte er. Dass sie sich kannten, habe keiner von beiden gezeigt. Strafrechtlich belangt worden sei dieser nie: Im Zuge der Wiedervereinigung vereinbarten DDR und BRD  Straffreiheit, sofern die Tat nach den Gesetzen des jeweiligen Landes rechtens war. Die Frage, ob Herr Hildebrandt denn wütend auf seinen Vernehmer sei, verneinte er. Der Vernehmer sei ja in dem System aufgewachsen und hätte, wie auch dessen Kollegen, eine Ausbildung an der „Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit“, wie sie zumindest intern genannt wurde, erhalten und irgendwann habe er dann eben nicht zurück gekonnt. Er wäre auch einfach in dem System gefangen gewesen. Gegen ihn persönlich habe er nichts.

Der Besuch in der Gedenkstätte Hohenschönhausen stellte einen eindrucksvollen Höhepunkt unserer Berlin-Reise dar, der zu vielen nachdenklichen und engagierten Diskussionen führte, die wir später auch unter rechtlichen Gesichtspunkten in einem Nachtreffen noch einmal vertiefen wollen.

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