Am Montag, dem 20. Juni 2011 fand die zwölfte Veranstaltung der Vortrags- und Diskussionsreihe „Forum Arbeitsrecht“ an der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf statt. Als Referent konnte Herr Univ.-Prof. Dr. Peter Schüren, geschäftsführender Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht und Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, gewonnen werden. Im Rahmen seines Forschungsschwerpunktes und nicht zuletzt als Herausgeber eines Kommentars zum AÜG befasst er sich seit langem sehr intensiv mit der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung.
Seinem Vortrag legte Prof. Schüren mehrere Thesen zugrunde. Zunächst stellte er die geschichtliche Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung in der Nachkriegszeit dar, in welcher der Verleih von Beschäftigten zunächst unzulässig war. Hiermit sei bereits, so die erste These, ein unglücklicher Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung gelegt worden. Mit der Neuregelung durch das AÜG im Jahre 1972 sei die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung zwar grundsätzlich (mit Erlaubnisvorbehalt) für zulässig erklärt worden. Allerdings müsse man wegen der Überlassungshöchstdauer von drei Monaten, des strengen Synchronisationsverbots und der scharfen Sanktionen bei einer Überlassung ohne Erlaubnis, so eine weitere These, eher von
einem Gesetz „gegen“ die Leiharbeit sprechen.
In der Folgezeit sei dann, unter anderem durch die schrittweise Verlängerung der Überlassungshöchstdauer und die Abschwächung des Sanktionensystems mit der Abschaffung von § 13 AÜG, eine kontinuierliche Verringerung des Arbeitnehmerschutzes eingetreten. Verschärft habe sich diese Entwicklung insbesondere durch die Hartz-Reformen im Jahre
2003. Die Streichungen der Überlassungshöchstdauer und des Synchronisationsverbots hätten dazu geführt, dass eine Arbeitnehmerüberlassung nahezu unbeschränkt zulässig wurde. Der Grundsatz des „equal pay“ habe diese Liberalisierung nicht ausgleichen können. Denn aufgrund der steigenden Arbeitslosenzahlen seien die Vergütungen in der Leiharbeit stark unter Druck geraten, und wegen des geringen Organisationsgrades der Leiharbeitnehmer sei auch keine wirksame
Interessenvertretung durch Gewerkschaften zustande gekommen, so dass angemessene Tarifverträge selten möglich gewesen seien. Die Interessenvertretung der Leiharbeitnehmer erinnere daher eher an das Prinzip der virtuellen Repräsentation. Daraus leitete Prof. Schüren als weitere These ab, die Hartz-Reformen hätten insgesamt einen Billiglohnsektor geschaffen.
Im Folgenden ging Prof. Schüren auf die Entwicklungen bei der CGZP ein, deren Tarifunfähigkeit das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 14.12.2010 festgestellt hat. Er betonte, dass die ab 2003 durch die CGZP abgeschlossenen Flächentarifverträge für sich genommen noch nicht be-
sonders erwähnenswert seien. Die CGZP habe darüber hinausgehend aber an einzelne Unternehmen Haustarifverträge „verkauft“, die zu einem Lohndumping geführt hätten. Dass an der Tariffähigkeit der CGZP unabhängig von diesen Vorkommnissen erhebliche Zweifel bestanden hätten, habe die arbeitsrechtliche Literatur bereits ab 2004 deutlich gemacht. Seiner Auffassung zufolge musste die Tarifunfähigkeit der CGZP der gesamten Branche spätestens seit 2007 bekannt gewesen sein. Deshalb könnten sich die betroffenen Arbeitgeber nun hinsichtlich der Entscheidung des BAG vom Dezember 2010 nicht auf einen Vertrauensschutz berufen und müssten die Differenz zu den zu wenig gezahlten Arbeitsentgelten und insbesondere die
darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge in vollem Umfang nachzahlen.
Im letzten Abschnitt des Vortrages ging Herr Prof. Schüren auf die aktuellen Änderungen des AÜG ein, die teilweise bereits am 30.4.2011 in Kraft getreten sind und teilweise zum 1.12.2011 in Kraft treten werden und mit denen der Gesetzgeber die Richtlinie 2008/104/EG umgesetzt hat. Insoweit sei zu bemängeln, dass der Gesetzgeber den Begriff „vorübergehend“ nicht geklärt habe; daraus folge hinsichtlich der zeitlichen Beschränkung ein hohes Risiko für die Beteiligten, weil sie auf die künftige Klärung durch die Rechtsprechung angewiesen seien. Zudem ergebe sich durch die Änderungen auch in Zukunft kein Schutz vor einem Missbrauch der Tarifautonomie und des Befristungsrechts. Daher sei insgesamt zu resümieren, dass die mit der Richtlinie verfolgten Ziele nicht umgesetzt und die Änderungen am AÜG daher nicht richtlinienkonform seien. Indessen könne
jedoch nur ein richtlinienkonformes AÜG langfristig eine erfolgreiche Arbeitnehmerüberlassung
sichern. Prof. Schüren verlangte daher eine solche Umsetzung der Richtlinie durch den Gesetzgeber, die einerseits maximale Flexibilität, andererseits aber auch einen akzeptablen Arbeitnehmerschutz bewirken müsse. Bestandteile einer solchen Umsetzung müssten, so seine abschließende These, unter anderem eine Absicherung des Tarifniveaus, eine Haftung auch des Entleihers für nichtgezahlte Vergütungen, ein Verbot sachgrundloser Befristungen und eine Verpflichtung zur Einleitung von Verfahren nach § 97 Abs. 1 ArbGG bei entsprechenden Indizien sein.
Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich eine rege Diskussion, die insbesondere die sog. Lehre vom fehlerhaften Tarifvertrag und die Frage eines Vertrauensschutzes für Verleiher und Entleiher zum Gegenstand hatte. Bei einem kleinen Imbiss konnte der Meinungsaustausch anschließend fortgeführt werden.